Die Straßen des geringsten Widerstandes sind nur am Anfang asphaltiert (Grafiti).
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Umwege erweitern die Ortskenntnis (Grafiti).
 

Integrative Gestalttherapie ist eine bewährtes psychotherapeutisches Verfahren, dessen Einsatz sich bei vielen seelischen Schwierigkeiten aber auch im Zusammenhang mit SupervisionCoaching oder Persönlichkeitsentwicklung nachweislich sehr bewährt hat. Obwohl Gestalttherapie z.B. in vielen in- und ausländischen Kliniken mit Erfolg praktiziert wird und sich auch in internationalen Fachkreisen des Zuspruchs erfreut, wird sie in Deutschland (noch?) nicht von Krankenkassen anerkanntes bzw. finanziert.

Es ist schwierig, Gestalttherapie alleine durch ihre theoretischen Grundannahmen angemessen zu charakterisieren. Auch, weil sie ein noch vergleichsweise „junges Verfahren“ und also noch ziemlich in Bewegung ist - Gestalttherapie kann man deshalb weniger als eine in sich völlig abgeschlossene und homogene „Therapieschule“ fassen.

Ein besserer Eindruck der Gestalttherapie läßt sich durch ihre praktische Herangehensweise vermitteln: In den Sitzungen werden das persönliche Erleben im „hier & jetzt“ und die individuellen Erfahrungen besonders betont (im Gegensatz zu bloßen Vorstellungen oder intellektuellen Konstrukten). Es wird weniger „nur“ über etwas gesprochen oder nachgedacht, statt dessen wird selber ausprobiert und experimentiert. Neben der Betonung von sinnlichem Gewahrsein, Wahrnehmungsbereitschaft und ständiger Veränderung aller Erscheinungen (Prozessorientierung oder: "Alles fließt!") sind andere Schwerpunkte, die die Lebendigkeit der Gestalttherapie noch weiter unterstreichen, die Wetschätzung von persönlicher Präsenz, Begegnung und Dialog sowie die große Achtung vor den Selbstorganisationsfähigkeiten und der Selbstverantwortlichkeit jedes Menschen.

Das Adjektiv „integrativ“ betont, daß bei dem von mir praktizierten Stil der Gestalttherapie die menschliche Intergrationsfähigkeit von besonderem Interesse ist. Damit ist gemeint, daß seelische Schwierigkeiten immer damit einher gehen, nicht flexibel und kreativ auf gegenwärtige Herausforderungen reagieren zu können, sondern in gewisser Weise starr und mit der Vergangenheit verstrickt. Gelingt es z.B.

  • alte Muster aufzulösen und vergangene Erfahrungen angemessener zu integrieren
  • das Gewahrsein zu verfeinern und ein realistisches Selbstbild auch der eingene Ressourcen sowie Potentiale zu verinnerlichen
  • widerstrebende Anteile in sich mehr zu versöhnen oder innere Konflikte aufzulösen etc.

werden die Selbstheilungskräfte und damit das Persönlichkeitswachstum durch diesen Ausbau der individuellen Intergrationsfähigkeit kraftvoll unterstützt.

 

Um noch einen weiteren Eindruck von den vielfältigen, belebenden und heilsamen Möglichkeiten der Integrativen Gestalttherapie zu geben, möchte ich im Folgenden verschiedene Einschlüsse (Implikationen) beschrieben, die sich in der praktischen Arbeit prächtig ergänzen und wunderbar befruchten können. Intergrative Gestalttherapie beinhaltet u.a. ...

  • eine humanistische Grundhaltung, d.h. Gestaltarbeit gleicht nicht der Be-Handlung beim Arzt, wo der eine Experte und der andere eher ein passiver Empfänger ist. Satt dessen geht Gestaltarbeit dialogisch vor und verlangt von den Beteiligten die Bereitschaft zur Selbstverantwortung (statt das Gegenüber bevormunden zu wollen). Diese Haltung entstammt stark der so genannten humanistischen Psychologie, einer Bewegung, die mit Namen wie MASLOW oder ROGERS verknüpft ist, und deren zentrale Anliegen die Förderung der Präsenz, der Wertschätzung, der Autonomie und des Persönlichkeitswachstums sind.
  • ein phänomenologische Position: Im Gegensatz zur Psychoanalyse, die Unbewußtes zu deuten versucht und die Funktionen eines seelsichen Aparates betrachtet, wird in der Gestalttherapie mit der Wahrnehmung dessen, was ist, also den Phänomenen vorlieb genommen. Wird diese Wahrnehmung nach und nach intensiver, offenbaren sich tiefer liegende Strukturen. U.a. deshalb ist die wichtigste Begegnung die des "Ich & Du" (BUBER) im "hier & jetzt", wobei aus solchen Begegnungen nach und nach eine Beziehung erwächst.
 
 
  • eine systemische Perspektive, die besagt, daß ein Mensch immer in größere Ganzheiten eingebettet lebt (Familiensystem, Arbeits- und Gesellschaftsstruktur und ökologische Umwelt). Dabei sind das Individuum und seine Umwelt vielfach miteinander vernetzt, d.h. gleichzeitig abhängig von einander wie auch eigenständig, interdependent (COHEN) und selbstverantwortlich. Ändert sich an einer Stelle des Systems etwas (= Individuum, Familie, Team etc.), zieht das Veränderungen an allen anderen Stellen des System nach sich.
  • eine gestaltpsychologische Perspektive. Sie fußt auf den Arbeiten z.B. von WERTHEIMER, KÖHLER, KOFKA, METZGER u.a. Gestaltpsychologie befaßte sich zunächst mit Phänomene aus dem Bereich der sinnlichen Wahrnehmung sowie dem daraus resultierenden Erleben und Verhalten. Dazu zählen z.B.
      • daß Wahrnehmung kein passiver Akt ist, wie bei einer Kamera Obscura, sondern sie ist ein aktiver (Schöpfungs-)Vorgang. Wir sehen viel eher das, was wir brauchen, und filtern das aus, was z.Zt. unwichtig scheint. So sieht ein wütender Mensch um sich herum u.U. lauter Provokationen, ein ängstlicher lauter Gefahren. Dementsprechend haben wir Verantwortung dafür, was das Resultat unserer Wahrnehmung ist, weil wir immer einen persönlichen Anteil an unseren Wahrheiten haben.
      • das Figur-Grund-Prinzip: Der Vordergrund einer Wahrnehmung - die psychologische Gestalt oder Figur – ist immer mit einen bestimmten Hintergrund verflochten, der die Bedeutung beeinflußt. Vereinfacht: Ein und der selbe Farbpunkt wirkt z.B. vor einem schwarzen Hintergrund heller, als vor einem grauen. (Kleines Experiment gefällig?)
  • das "Gesetzt der Übersummation" (= Das Ganze ist mehr und etwas anderes, als die Summe seiner Teile): eine Melodie ist mehr als die bloße Addition der Einzeltönen, Melodie und Rhythmus entstehen vielmehr durch den Abstand zwischen den Tönen. Ein Gespräch ist mehr als die Summe der gesprochenen Worte.
  • das "Gesetz der Transponierbarkeit": wenn ein Lied erst in C-Dur und dann fünf Töne höher in E-Dur gesungen wird, sind alle Töne physikalisch völlig verschieden - trotzdem hören wir die gleiche Melodie
  • die Prägnanztendenz: wir vollenden innerlich eine unabgeschlossene Wahrnehmungsgestalt, d.h. sehen einen geschlossenen Kreis, wo in Wirklichkeit vielleicht nur 90% des Kreises gezeichnet sind.(Kleines Experiment gefällig?)
  • die Gruppierungstendenz: ähnliche Dinge ordnen wir innerlich zu einer Gruppe und "übersehen" Unterscheide, ebenso bei Dingen, die eine Nähe zueinander haben oder in Symmetrie verbunden sind. (Kleines Experiment gefällig?)
 
 
  • die Selbstorganisations- und -regulationstendenzen (fussend auf GOLDSTEIN u.a.): Natürliche Systeme streben zu einer ihnen innewohnenden Ordnung, wenn es keine hemmenden Einflüsse von Außen gibt (z.B. formt sich Flüssigkeit ohne Schwerkraft aufgrund der Anziehungskraft der Molleküle zur Kugel, Kinder geben sich beim Spielen eigene Regeln, so daß das Spiel interessant bleibt, auch wenn einer der "Schwächere" ist)
  • die Feldtheorie (fussend auf LEWIN): Die Bedeutung eine wahrgenommene Figur ist nur aus Wechselwirkung zwischen wahrgenommenen Objekt, wahrnehmenden Individuum und dessen Lebenswelt (Feld) heraus zu verstehen. Z.B. bedeutet ein Heuhaufen für den Bauern je nach Jahreszeit Arbeit, für ein spielendes Kind ist vielleicht ein gutes Versteck und für ein Liebespaar der ideale Platz für amouröse Momente.

 

  • eine buddhistisch-taoistische Perspektive: von wachem Bewußtsein und sinnlichem Gewahrsein (awareness) sowie von mitfühlender Achtsamkeit und einer respektvollen Haltung gegenüber der Natur im weitesten Sinne geht eine heilende Kraft aus. Ebenfalls gibt es Verwandtschaften zur "Nicht-Anhaftung" (none-attachment) z.B. an Auffassungen oder gedanklichen Konstrukten und zur Prozeßorientierung. Die Gestalttherapie kennt z.B. die so genannte »Paradoxie der Veränderung«, die besagt : "Wandel findet statt, wenn ich wirklich akzeptiere, wie und wer ich bin, aber nicht wenn ich versuche zu werden, wie oder wer ich sein möchte". Eine weitere "Schnittmenge" ist die Auffassung, daß so genannte Polaritäten wie "gut"/"böse", "angenehm"/"unangenehm" immer nur aufeinander bezogen existieren; beide definieren einander und ohne den einen Pol gibt es den andere gar nicht, oder: Gegensätze dieser Art haben einen gemeinsamen "Nullpunkt", aus dem heraus sie entstehen.
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    eine tiefenpsychologische Perspektive: Gestalttherapie bezieht sich zwar vordergründig stark auf das "hier & jetzt", sie interessiert sich aber ggf. ebenso für den Hintergrund, das "dort & damals". Haben Menschen schwierige Konstellationen durchlebt und schmerzhafte Erfahrungen etc. in ihrem Leben gemacht, gelingt es ihnen nicht immer, sie zu verdauen. Statt dessen werden sie verinnerlicht ("verschluckt") und aus dem Gewahrsein verbannt. Besonders solche so genannten "Introjekte" wirken aus der Tiefe heraus gestaltend (so genannte "unerledigte Geschäfte" oder ZEIGARNIK-Effekt). Werden sie vor dem Hintergrund dieser persönlichen Vergangenheit gewürdigt (wo sie ja eine besonders wichtige Funktion hatten), können sie sich besser aus dem "hier & jetzt" verabschieden.

  • eine organismische Perspektive. Genauso wie der körperliche Teil des Organismus Nahrung braucht, so braucht auch der seelische Teil nährende Energien und Informationen. So gesehen ist der Mensch ein neu-gieriges Wesen und muß assimilieren, um sich zu entwickeln und zu wachsen. Diese Aufnahme von Neuem folgt einem spezifischen Erregungsrhythmus, dem so genannte Kontaktzyklus. Dabei ist die Kontaktgrenze zwischen Individuum und Umwelt von besonderem Interesse, denn sie ist nicht fest definiert, sondern wird vom Einzelnen je nach Bedürfnis und Situation abgesteckt (der Abenteurer öffnet sich in fernen Ländern, der Ängstliche fremdelt)